Kennen Sie "d’Spys" des alten Bircher?

Müsli in Schale, Früchte

So wie im Flugzeug der Tomatensaft nicht fehlen darf, gehört zu einem guten Frühstücks-Buffet unbedingt das Bircher-Müsli: Für viele Gäste ist es ein absolutes Muss für einen gelungenen Start in den Tag – auch wenn die heute in der Gastronomie angebotenen variantenreichen Kreationen mit dem ursprünglichen Rezept nicht mehr viel gemeinsam haben. Komponiert wurde das Bircher-Müsli nämlich als "Apfeldiätspeise" mit strenger Rezeptur, angelehnt an das einfache Essen Schweizer Alpenhirten.

 

 

Ein Klassiker zum Frühstück

Heute gibt's zahlreiche Variationen

Das ursprüngliche Rezept war recht einfach: Pro Portion musste ein gestrichener Esslöffel Haferflocken rund 12 Stunden in drei Esslöffeln Wasser einweichen. Anschließend sollte ein Esslöffel Zitronensaft und ein Esslöffel gezuckerte Kondensmilch hinzugefügt und zu einer Sauce vermischt werden. Danach wurden 2 möglichst saure Äpfel direkt hineingerieben. Zum Schluss musste noch ein Esslöffel geriebene Haselnüsse darübergestreut und alles eventuell mit etwas Honig gesüßt werden – fertig war das Bircher-Müsli, das heute so gerne variiert und mit anderen Zutaten aufgepeppt wird. 

Ein Schweizer hat’s erfunden

Der 1867 in der Schweizer Kantonshauptstadt Aarau – zwischen Basel und Zürich – geborene Maximilian Oskar Bircher studierte in Wien, Dresden und Berlin Medizin und eröffnete 1891 in Zürich eine Praxis. Allerdings blieb der wirtschaftliche Erfolg zunächst aus.

Erst als er 1893 die betuchte Tochter Elisabeth des angesehenen Elsässer Apothekers Benner heiratete, lösten sich dank praller Mitgift seine finanziellen Sorgen in Luft auf – endlich konnte er seine Recherchen in Sachen Vollwertkost betreiben.

Er nahm den Doppelnamen Bircher-Benner an und entwickelte das "Bircher-Müesli". Angeblich brachte ihn die Behandlung einer magenkranken Patientin auf diese Idee. Er schaffte es schnell, "d’Spys" – Schweizerdeutsch für "die Speise" – publikumswirksam als gesundheitsfördernd zu vermarkten, auch wenn er oft auf Widerstand stieß. 

Müsli, verschiedene Beeren Bircher schaffte es, dass sein Vollwert-Müsli immer berühmter wurde

Gegen jeden Widerstand

1903 veröffentlichte Bircher-Benner seine populärste Schrift "Grundzüge der Ernährungstherapie aufgrund der Energetik". Er stellte darin die recht gewagte und schnell angefeindete These der "Sonnenlichtnahrung" auf: Bircher behauptete, für die Qualität von Lebensmitteln seien nicht die enthaltenen Nährstoffe verantwortlich, sondern die jeweils gespeicherte Sonnenenergie. Diese Theorie widersprach aber schon damals anerkannten biochemischen Erkenntnissen, und so stand Bircher-Benner plötzlich in starker fachlicher Kritik. Das machte ihn allerdings umso populärer.

Auch weitere Thesen Birchers wurden damals heiß und kontrovers diskutiert: Bircher behauptete, dass rohe Lebensmittel gesünder als gekochte seien und pflanzliche Nahrung wertvoller als Fleisch sei. Weil er sich auch von berühmten Kritikern wie Justus Liebig nicht beirren ließ, blieb er weiterhin im Licht des öffentlichen Interesses. Und er ging noch weiter: Er verurteilte kurz darauf auch mit Weißmehl oder weißem Zucker behandelte Lebensmittel und dann sogar die Verwendung von Konserven.

Trotz aller Anfechtungen – oder erst recht deswegen – war Bircher so erfolgreich, dass er 1904 auf dem Zürichberg sein eigenes Sanatorium eröffnen konnte, das er "Lebendige Kraft" nannte. 1913 baute er es noch weiter aus. Seine Patienten hatten es nicht leicht – sie mussten sich körperlich ertüchtigen und strikt an vorgegebene Zeitabläufe halten.

Berühmte Zeitzeugen

Der Schriftsteller Thomas Mann bezeichnete das Bircher-Sanatorium als "hygienisches Zuchthaus" und ließ sich vom Drill dort zu seinem Welterfolg "Der Zauberberg" inspirieren. Andere Prominente wie Rainer Maria Rilke und Hermann Hesse ließen sich ebenfalls von Bircher-Benner behandeln und machten das Sanatorium noch berühmter.

So konnte Bircher-Benner 1923 seine eigene Zeitschrift gründen, die er "Der Wendepunkt im Leben und im Leiden" nannte; danach folgten "Wendepunkt"-Kochbücher. Ganz klar – heute hätte Bircher sicher seine eigene Koch-Show im Fernsehen!

Nach Bircher-Benners Tod 1939 – er war 71 Jahre alt und starb an einem Herzleiden – wurde die Klinik bald mangels Auslastung geschlossen. Bircher-Benner hat es aber immerhin geschafft, dass sein Müsli neben Fondue und Schokolade zu den drei weltweit bekanntesten Schweizer Spezialitäten gehört. 

 

Autor: Richard S. Beerbaum