In Frankreich kennt's keiner

Ragout in Blätterteig auf weißem Teller

Die Geschichte des Ragoût fin – zu Deutsch „Feines Ragout“ – begann um das Jahr 1685 im preußischen Berlin: mit dem Edikt von Potsdam nahm das lutherische Preußen gut 20.000 Hugenotten auf. Diese wurden in ihrer französischen Heimat verfolgt. Gut 6.000 von ihnen kamen nach Berlin.

Das war auch gut so, denn der bis 1648 andauernde 30-jährige Krieg hatte die Bevölkerungszahlen halbiert. Dies erklärt, warum nach Zuzug der Hugenotten auf einmal über 25% der Berliner Franzosen waren!

 

Traditionen, die bis heute fortbestehen

Die neuen Mitbürger waren gut ausgebildet, ließen Saatgut und Setzlinge aus ihrer Heimat kommen. Sie beschäftigten sich überwiegend mit der Produktion von Nahrungsmitteln und mit Landwirtschaft: Von ihren neuen französischen Nachbarn lernten die Berliner, dass man Blumenkohl, Spargel, Artischocken, Rosenkohl und Spinat sogar essen kann. Das fanden die Berliner so „dufte“, dass sie sich weiter neugierig auf alles zeigten, was die neuen Mitbürger so trieben.

Der Kontakt miteinander war intensiv – und so entstanden Traditionen, die bis heute fortbestehen. Dazu muss man wissen: Französisch galt Anfang des 18. Jahrhunderts bei den gesellschaftlichen Eliten Europas als Ausdruck vornehmlicher und zivilisierter Lebensart. Nicht umsonst wurde das erste Krankenhaus der Stadt „Charité“ getauft. Auch die Bezeichnungen „Bellevue“ und „Monbijou“ sowie das „Schloss Sanssouci“ in Potsdam geben Zeugnis von dieser Zeit.

Französische Einflüsse

Die Berliner machten begeistert mit und fanden es ausgesprochen schick, ihre Berliner Kodderschnauze wenigstens bruchstückhaft mit französischen Begriffen anzureichern. Und so fanden viele Ausdrücke aus dem Französischen ihren Weg in die deutsche Sprache. Denken Sie nur ans „Frikassee“ oder das „Omelett“. Das typisch berlinerische „Kinkerlitzchen“ hat seinen Ursprung übrigens im französischen „quincaillerie“. Krakeelen kommt von „querelle“.


Neue Köstlichkeiten

Neben der Sprache beeinflussten die Hugenotten auch den Speiseplan der Berliner. Wer z. B. die Bockwurst oder die Berliner Weiße für Erfindungen gebürtiger Berliner hält, irrt sich. Die erste Bockwurst produzierte in Berlin Monsieur Braconier; 1741 gründeten die Hugenotten die erste Weißbierbrauerei.

Auch das Ragoût fin erfanden die Hugenotten in Berlin. Als Gericht aus feinen Fleischstückchen ist es allerdings bis heute in Frankreich unbekannt. Es darf daher schon als Berliner Spezialität gesehen werden.

 

Ragout mit Pilzen in weißer Schale Das 'feine Ragout' wird heute meist als Vorspeise angeboten

Ursprünglich mit Kalb, heute meist mit Geflügel

Ragoût fin wird meist als Vorspeise serviert. Es besteht aus hellem Fleisch und Innereien in einer weißen Sauce. Zubereitet wird es aus Kalbfleisch, Kalbsbries, -hirn, -zunge und -rückenmark sowie Hühnerbrust. Je nach Rezept kommt auch Fisch hinein. Alles wird in leichtem Essigwasser gegart oder vorsichtig in Butter gedünstet und in kleine Würfel geschnitten. Die weiße Sauce aus heller Mehlschwitze, Brühe, Weißwein, Sardellen, Zitronensaft, Sahne und gedünsteten Champignons wird mit Eigelb legiert. Würfel und Sauce werden vermischt, im Wasserbad erhitzt und anschließend in den Schalen von Jakobsmuscheln, Portionsschalen oder Blätterteigformen mit Paniermehl, Käse und Butter überbacken. Je nach Geschmack würzt man das Ragoût fin nachträglich mit Worcestershiresauce.

Das heute in Konserven oder tiefgekühlt angebotene Ragoût fin enthält üblicherweise weder Kalbfleisch noch Innereien, sondern Geflügelfleisch bzw. Geflügelfleischprodukte. 

 

Autor: Richard S. Beerbaum