Villa Viva

Social Entrepreneurship im Gastgewerbe

Hotels gibt es in Hamburg ja wie Schiffe auf der Elbe. Viele klangvolle Namen und so ziemlich alle großen Marken sind in der Hansestadt vertreten. Und für alle, die es ganz genau wissen wollen: 417 Beherbergungsbetriebe mit insgesamt 75 000 Betten wetteifern um die jährlich 7,6 Millionen Übernachtungen von Reisenden. Damit wir trotzdem über (noch) ein Hotel berichten, das zu allem Überfluss noch nicht einmal eröffnet hat, braucht es also gute Gründe. Am besten natürlich ein Konzept, das es in dieser Form nirgendwo sonst gibt…

Viva con Agua

Übernachten ab 19,10 Euro

Genau das dürfte bei der Villa Viva der Fall sein, wenn man ein bereits bestehendes, gleichnamiges BackpackerHaus in Kapstadt mal außen vor lässt. Die Fakten allein sind zumindest nicht super ungewöhnlich: 139 stylische Zimmer, Münzviertel am Hauptbahnhof, zwölfeinhalb Stockwerke. Diverse Zimmerkategorien vom einfachen Camping Ground (ab 19,10 Euro die Nacht) bis zur Dicke-Hose-Suite, für deren augenzwinkernd künstlerische Gestaltung man Barbara Schöneberger und Jan Delay als Paten gewonnen hat. Dank dem Sänger gibt es jetzt entgegen der bisherigen Planung auch eine Suite mit kleiner Loggia und Blick bis zum Hafen, aber das nur am Rande.

Viva con Agua

Parkplätze: Exakt Zero

Die inneren Werte des neuen Hotels sind auch interessant: Bei den nichttragenden Wänden kommen recycelte Rohstoffe und CO2-armer Beton zum Einsatz. Es gibt ganz bewusst keine Stellplätze für Autos, stattdessen bekommen Gäste Tickets für den ÖPNV. Die Planung berücksichtigt auch den sorgsamen Umgang mit Wasser: Die Toilettenspülung soll mit Grauwasser laufen, in den Duschen sind Wassersparsysteme geplant, Solarthermie soll den Pufferspeicher im Atrium heizen und zusätzlich sind noch Wasserrückhaltesysteme für die Bewässerung der begrünten Fassade geplant, die gerade im Sommer einen positiven Einfluss auf das Mikroklima rund um die Villa Viva haben soll. Um den Hotelbetrieb der Villa Viva kümmern sich Jens Sroka und seine Heimathafen-Gruppe, die man mit Konzepten wie der Bretterbude (Büsum, Heiligenhafen), den Beach Motels (St. Peter-Ording, Heiligenhafen) oder dem Lighthouse Hotel & Spa (Büsum) auch schon kennt. Alles coole Adressen, geprägt von Jens’ Liebe zu Design und einem freundlichen Service mit entspanntem Umgangston. Alles lässig, alles leger, alles leistbar. Was die Villa Viva aber wirklich einzigartig macht, ist die Mission des Hauses. Denn dieses Hotel gibt es, damit in Afrika Brunnen gebohrt werden. Leitspruch: Wasser für alle – alle für Wasser. „Rund 500 Millionen Menschen auf unserer Welt haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser“, sagt Carolin Stüdemann, geschäftsführende Vorständin der Hamburger Hilfsorganisation Viva con Agua (VCA). Diesen Verein kennt in Norddeutschland wirklich jeder. Entweder von diversen Aktionen (vom Schulhofflohmarkt bis zur Pfandsammelstation bei Konzerten) oder von Lizenzprodukten wie dem Viva-conAgua-Wasser. Hinter Viva con Agua stehen eben nicht nur 28 Hauptamtliche, sondern allein in Deutschland mehr als 10 000 Unterstützer. „Gemeinsam mit Partner-Organisationen ist man stolz drauf, dass seit 2006 weit mehr als drei Millionen Menschen Zugang zu sauberem Wasser bekommen haben

500 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Das kann man nicht so lassen.

Carolin Stüdemann über ihren Antrieb
 
Social Business

Der Trick mit der Gang

Möglich machen das Spenden (die wichtigste Grundlage, um Trinkwasserprojekte zu realisieren) und Einnahmen aus Lizenzgeschäften. Von jeder Flasche Viva-con-Agua-Wasser fließt Geld in die Hilfsprojekte. Wasser mit Mehrwert, nennen das Marketing-Experten. Von Social Entrepreneurship und einem AllProfit-Modell spricht dagegen Carolin Stüdemann, 32, die seit September 2018 bei Viva con Agua als Geschäftsführerin gemeinsam mit Initiator Benjamin Adrion im Stiftungsvorstand die Fäden in der Hand hält. Seither wächst der VCA-Kosmos: Es gibt für gemeinnützige Sanitärprojekte das Toilettenpapier Goldeimer (auch in immer mehr Hotels zu finden), passend dazu eine Seife und eben Lizenzen für Mineralwässer in Bayern und der Schweiz. Das Hotelprojekt aber ist anders. Hier geht es nicht nur um die Lizenz für einen Mineralwasser-Hersteller, sondern um ein großes Investment im Millionenbereich. „Dafür können wir Spenden nicht einsetzen“, sagt auch Stüdemann. Also hat man zusammen mit einer Shareholder-Gang aus 18 Investoren ein Modell entwickelt und die Villa Viva Holding GmbH von diesen Investoren mit 5,5 Millionen Euro Eigenkapital ausstatten lassen. Das Besondere: Zwei Drittel der Anteile und der Stimmrechte liegen dennoch bei der VCA-Stiftung und dem VCA-Verein, die dafür keinen Cent investieren mussten, aber sich auf die mehrheitliche Ausschüttung der Gewinne freuen darf.

Eine Idee zum Exportieren

Stüdemann und Adrion sehen die Villa Viva als „dezentrales Netzwerk physischer Orte, Raum für Kreativität, Verbindung und Transformation. Alles, was auf dieser Spielfläche passiert, dient der Vision Wasser für alle – alle für Wasser.“ Die langfristige Idee dahinter: An verschiedenen Orten der Welt diese Hubs diese Gasthäuser realisieren. Das gebe den nachhaltigen Anstrengungen ein festes Fundament und Stabilität. „Was wir machen, ist ein Gegenentwurf zu reiner Gewinn- und Rendite-Orientierung“, sagt dazu Stüdemann, die zu diesem Thema unlängst ausführlich zu hören war: im Podcast Tisch für Drei – dem genussverliebten Podcast von CHEFS CULINAR. 

Villa Viva Helfer

Viele wollen mitmachen

Wie gut ein solches sozialwirtschaftliches Projekt ankommt, lässt sich an den Bewerberzahlen um die Stellen im Hotel ganz gut ablesen. Während anderswo die Personalnot immer dramatischer wird, kann die Villa Viva sprichwörtlich aus dem Vollen schöpfen. Denn das gemeinsame Ziel verbindet und gibt intrinsische Motivation. Genauso war es auch bei Stüdemann selbst, die als Schülerin in Elmshorn an einem Mai-Tag im Jahr 2008 zum ersten Mal mit Viva con Agua in Berührung kam. Damals war VCA-Initiator Benjamin Adrion noch persönlich in Schulen unterwegs, um für seine Idee zu werben. „Dieser Tag hat bei mir ganz viel verändert“, sagt Stüdemann, die mit 24 eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung in Heide leitete, ehe sie sich mit 28 gegen mehr als 50 Bewerber im Rennen um den Chefsessel bei Viva con Agua durchsetzte – und jetzt Hamburgs vielleicht ungewöhnlichstes Hotel entwickelt, um mit Benjamin Adrion die Vision „Wasser für alle“ Realität werden zu lassen.