Unsere Welt nach Corona

Matthias Horx auf dem Symposium

"Vor allem hat Corona unseren Hochmut zerstört", sagt Matthias Horx und stellt einen grundlegenden Wandel gesellschaftlicher Wertesysteme fest. Das hat Folgen für uns alle. Europas bekanntester Zukunftsforscher sieht die Welt an einem Tipping Point mit Glokalisierung statt Globalisierung und einer Umdrehung der Machtpositionen zwischen Kapital und Arbeit durch New Work. Was das für Gastro und Hotellerie bedeutet, wurde beim großen CHEFS CULINAR Symposium in Bonn deutlich.

Wohin steuert unsere Welt? Was macht Hoffnung und wie wirken sich die Megatrends unserer Zeit nach der Pandemie aus? Antworten darauf gab Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem Vortrag anlässlich des großen CHEFS CULINAR Symposiums im alten Bundestag zu Bonn. Parallel dazu haben wir ihn um ein Interview gebeten.

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Herr Horx, zuletzt haben wir eine entfesselte Industrialisierung erlebt. Eine Ära ungebremster Erhitzung. Endet diese Phase oder ist das nur der fromme Wunsch von Good Old Europe?

Es wird noch einige Jahre weitergehen mit dem Verbrennen von Öl und Gas. Aber die Tage der fossilen Kultur sind gezählt.  China hat angekündigt, dass es noch in diesem Jahrzehnt seinen CO2-Ausstoss wieder reduzieren wird. Der „Peak Carbon“ ist also womöglich gar nicht so weit entfernt – wenn China „die Kurve kriegt“, wird das Folgen haben. In Europa und Amerika sinken die Werte ja schon längere Zeit.

Was ist aus Sicht eines Zukunftsforschers Corona? Ein Wendepunkt? Ein Auslöser? Oder eine vorübergehende Phase?

Wir sind mit dem Kopf auf ein paar unangenehme, aber doch erhellende Wahrheiten gestoßen worden. Zum Beispiel, dass wir Teil der Natur sind und bleiben. Und dass unsere globale Lebensweise zu Mutationen in der Mikrobiologie führen können, die dann die ganze Welt erreichen. Corona war ein Tipping Point einer rein auf lineares Wachstum ausgerichteten Kultur. Das führt zu einem Semantic Shift, einem Wandel gesellschaftlicher Wertesysteme.

Immer wieder sprechen wir vom neuen Normal und fassen damit eine ganze Reihe von Megatrends zusammen. Was sind die wichtigsten?

Megatrends sind ein Netzwerk von Wirkungen, man kann sie also nicht wirklich in eine Wichtigkeits-Reihenfolge bringen. Aber man kann die Veränderungen durch Corona heute schon benennen: die GloKALisierung löst die alte Globalisierung ab, die Wertschöpfungsketten werden wieder lokaler. Das Verhältnis Stadt zu Land verändert sich, die große Flucht in die Metropolen kehrt sich zunehmend um. Und in der Arbeitswelt kommt es zu einer Umdrehung der Machtpositionen zwischen Kapital und Arbeit. Neo-Work bedeutet eine neue Arbeitsarchitektur, in der die Löhne steigen und das Humankapital knapp wird. Das Personalproblem spürt man vor allem in der Gastronomie, aber auch in Handel, Service, Gesundheit.

Also sind wir empfindlicher geworden, wissen um unsere Verletzlichkeit und haben unser Wertesystem neu justiert?

Viele Menschen haben das so erfahren. Bei manchen hat es auch Einsamkeit und Zorn sowie bestimmte Formen von Wahn verstärkt. Generell ist die Sensibilität für Umweltthemen massiv gestiegen. Heute haben wir zum ersten Mal eine ernsthafte Transformations-Drift in Richtung einer postfossilen Wirtschaft, der sich auch große Konzerne und fast alle Parteien angeschlossen haben.

Was heißt das für die Hotellerie und den Tourismus? Reisen waren für die meisten von uns in den vergangenen Jahren enorm wichtig – gibt es künftig wieder mehr Stubenhocker ?

Krisen kappen Exzesse. Ein „Konzept“ wie Ischgl wird nicht mehr in der alten Weise funktionieren, ist plötzlich suspekt geworden und hat seinen Glanz verloren. Der extreme Hedonismus, die Genusssucht, neigt sich dem Ende zu. Aber gleichzeitig gibt es ja ein Riesenbedürfnis nach Reise und Naturerfahrung. Im Tourismus wird eher das ganz billige, schrottige Segment schrumpfen. Das, was überhaupt nicht nachhaltig ist.

Angenommen, ihr bester Freund sei Gastronom. Was raten Sie ihm für die Zukunft? Worauf sollte er sich einstellen?

Ich habe tatsächlich Gastronomen in meinem Bekanntenkreis. Und ich diskutiere immer wieder, wie man Konzepte entwickeln kann, die in die Zukunft führen, indem sie etwas Neues und Weltbewegendes im Sinne einer neuen Erlebnisqualität erreichen. Jeder Wirt erzählt ja mit seinem Produkt, seinem Unternehmen, eine Geschichte. Diese kann auch von Gesundheit, Naturnähe, Verbundenheit handeln. Das Schnitzel muss nicht immer größer werden, der Wein nicht immer teurer. Gastronomie ist soziales Geschäft, da geht es um Menschennähe, Gastfreundschaft im authentischen Sinne. Die Zeit des Chichi und des demonstrativen Luxus ist vorbei.

Was wird Ihrer Meinung nach durch – oder besser: nach – Corona nie wieder sein, wie es mal war?

Vielleicht hat Corona vor allem unseren Hochmut zerstört, dass alles immer so weitergeht – immer schneller, mehr, höher, weiter, billiger ... Aber eigentlich hatten wir ja schon im „alten Normal“ so ein mulmiges Gefühl, dass das Normale zunehmend ausfällig wurde.

Sie sind der Meister der Regnose, der aus der Zukunft gedachten Rückschau. Insofern: Was für ein Jahrzehnt werden die 20er Jahre aus der Perspektive von 2030 sein? Eine Zeit der verpassten Chancen? Der Neubesinnung? Der Digitalisierung oder ein: „Hurra, wir leben noch!“ wie in den Roaring Twentys vor 100 Jahren?

Die 20er Jahre werden ein Jahrzehnt der Transformations-Turbulenz. Das Alte hat noch nicht ganz aufgehört, das Neue noch nicht wirklich angefangen. Wir stellen in diesem Jahrzehnt die Weichen dafür, ob wir die Klima-Kurve noch kriegen. Dabei entwickelt sich eine neue Kultur, die auf der Idee des BESSER anstatt des MEHR setzt.

Was heißt das für unser Leben und Arbeiten?

Wir werden lernen, das besser zu verbinden. Wir haben ja die Erfahrung gemacht, dass die Arbeitszeit nicht das Entscheidende ist. Sondern die Berührung zwischen Menschen, die soziale Verbindung.

Es gibt keinen Megatrend ohne Gegenbewegung. Je schneller die Digitalisierung an Fahrt aufnimmt, desto mehr Menschen entdecken ihre Freude an digital detox und Papas altem Plattenspieler. Was heißt das für unsere Zukunft?

Dass wir aufhören sollten, jedem Trend hinterherzulaufen. Digitalisierung ist ein gutes Beispiel. Wenn man die öffentlichen Reden so hört, glaubt man, dass man ALLES durch eine Art Turbo-Digitalisierung lösen kann. Aber menschliche Beziehungen lassen sich durch Digitalisierung nicht lösen, im Gegenteil, Social Media hat die Gesellschaft eher beschädigt. Ein Restaurant zu digitalisieren kann es zerstören, was nicht heißt, dass man keine digitalen Mittel einsetzen kann. Aber wir bleiben analoge, körperliche Wesen.

Sie haben ein neues Buch geschrieben. „Die Hoffnung nach der Krise“ als Nachfolger zu „Die Zukunft nach Corona“. Was ist die wichtigste Botschaft im neuen Buch und was hat sich verändert?

Das erste Buch war inmitten der Krise entstanden, in einem emotionalen Orkan, ein Trostbuch. Das zweite ist ein Vertiefungsbuch darüber, wie Krisen in menschlichen Verhältnissen wirken. Sie führen oft zu verblüffenden Fortschritten. Wir wachsen womöglich nur oder besser, wenn wir Herausforderungen zu bestehen haben.

Freuen Sie sich auf die Zukunft? Oder überwiegt der Verdruss, wenn es doch mal anders kommt, als sie erwarten?

Die Zukunft hält immer auch Überraschungen bereit. Und das ist gut so. Einen Großteil unserer Lebensenergie verschwenden wir ja damit, uns zu beschweren, dass alles nicht so wird, wie wir es erwarten. Die Zukunft bleibt aber nur offen, wenn wir innerlich offen bleiben. Sonst scheitern wir an ihr durch innere Dumpfheit!