Ich will auch – wie veganes Food die Welt erobert
Nicht erst durch fleischlose Burger ist die vegane Welle ins Rollen gekommen. Doch Labels wie Vincent Vegan haben sie näher hin zum Mainstream gebracht. Aber nicht mehr nur am Fastfood-Counter, auch in der Sterneküche und der Gemeinschaftsverpflegung ist Vegan längst mehr als nur ein Trend unserer Zeit …
Es braucht eine tiefe Überzeugung, wenn man Dinge verändern möchte. Und Durchhaltevermögen. Erst recht, wenn man dabei kritisiert und belächelt wird, wie das bei Vincent Vegan zunächst der Fall war. „Als wir unseren ersten festen Standort im Food Sky in der Hamburger Europa-Passage eröffnet haben, meinten viele, dass das mit unserem Konzept in diesem Mainstream eh nicht klappen werde“, erzählt Topias Rohde, der das Hamburger Fastfood-Label zusammen mit Gründer Christian Kuper zuvor ausschließlich in Foodtrucks populär gemacht hatte. Die Unkenrufe kamen aus der eigenen Veganerszene – und von Gastro-Kollegen. Doch das war noch nicht mal das Schlimmste: „Wir wurden von neugierigen Besuchern belächelt, die teilweise kopfschüttelnd an uns vorbeigingen und meinten: ,Vegane Burger, Currywurst – was soll denn der Scheiß?‘“
„Vegan ist kein Trend“
2017 war das. Klingt noch gar nicht so lange her, in Sachen Vegan ist das aber schon eine halbe Ewigkeit. Mittlerweile steht die Kundschaft für die Burger von Vincent Vegan in der Europa-Passage Schlange, bestellt sich etwa den Simple One (mit einem Seitan-Tofu-Patty, hausgemachter Knobisauce und Grünzeug) oder Vish & Chips (mit Backfischersatz auf Weizenbasis und Crinkle Cut Fries) und teilt ihre Begeisterung auf Instagram & Co. Denn: Mittlerweile gehört Vincent Vegan in besagtem Foodcourt nicht nur zu den Top-Drei unter den Performern, sondern hat bereits drei weitere Standorte eröffnet – einen in Hamburg, zwei in Berlin. Woher der schnelle Erfolg kommt? Wahrscheinlich daher, weil man mit dem eigenen veganen Fastfood-Konzept eben selbst Teil des Mainstreams geworden sei, meint Geschäftsführer Rohde. Das Erfolgs-Motto funktioniert: Vegan muss nicht immer gesund sein, aber immer lecker. „Vegan ist kein Trend“, sagt Topi dazu. „Es ist unsere Zukunft.“
Die Welle rollt
Die Erfolgsgeschichte von Vincent Vegan steht wohl stellvertretend für eine Bewegung, die in Deutschland längst ins Rollen gekommen ist. Das zeigt sich etwa im Handel, wo sich die Anzahl der vegan gelabelten Produkte in den vergangenen acht Jahren glatt verzehnfacht hat. Vegane Kochbücher sind Verkaufsschlager, mancher Hersteller und Entwickler von fleischlosen Burger-Pattys geht bereits an der Börse durch die Decke, ehe dass er auch nur eines seiner Produkte an den Handel ausgeliefert hat. Rund 1,3 Millionen vegan lebende Menschen soll es Statistiken zufolge in Deutschland geben, rund 200 kommen derzeit täglich dazu – mit stark steigender Tendenz. Nicht zu vergessen die deutlich größere Anzahl an Flexitariern, also an Menschen, die bewusst ihren Fleischkonsum einschränken. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung schätzt ihren Anteil mittlerweile auf 12 Prozent. Andere Quellen gehen sogar von bis zu 25 Prozent aus – quer durch alle Altersschichten.
Fleisch von der Extra-Karte
Nur logisch, dass diese Entwicklungen auch viele Gastronomen im Land bewegt und umtreibt. Und klar: Auch hier gibt es Zahlen, die diesen Trend belegen. Noch 2013 etwa zählte die Branchenorganisation ProVeg bundesweit nur 75 Restaurants mit ausschließlich veganem Angebot. Fünf Jahre später waren es schon knapp viermal so viele. In dieser Statistik unbeachtet bleiben allerdings die vielen, vielen Gastronomen im Land, die ihre Speisekarten durch immer mehr vegane und fleischlose Angebote ergänzten – oder, wie beispielsweise Matthias Gfrörer in seiner Gutsküche in Tangstedt vor den Toren Hamburgs, einfach mal den Hauptdarsteller wechseln. Fleisch und Fisch lassen sich in Gfrörers Restaurant mittlerweile nur noch auf einer Extra-Karte finden, die nur auf expliziten Wunsch gereicht wird, ähnlich einer Weinkarte. „Ich möchte zu einer Kultur kommen, bei der der Gedanke vorherrscht: ,Ich esse zu meinem Gericht noch ein Stück Fleisch dazu.‘ Nicht wie bisher, wo das Gemüse oft nur eine Alibi-Beilage war“, sagt der Koch dazu.
Selbst Sterneküchen ziehen mit. Und das auch nicht erst seit gestern. Andreas Krolik, Zwei-Sterne-Koch im Frankfurter Lafleur, bietet neben seinem „normalen“ Menü immer noch ein zweites, veganes an. Zuletzt versetzte die Feinschmeckerszene die Ankündigung des Schweizers Daniel Humm, in seinem New Yorker Drei-Sterne-Tempel Eleven Madison Park künftig auf tierische Zutaten zu verzichten, in Aufregung. Für den Gast günstiger wird es in der Spitzengastronomie dadurch übrigens sicher nicht werden. Schließlich sei die Herausforderung, geschmackliche Tiefe aus Gemüse und Pilzen herauszubekommen, durchaus herausfordernder im Vergleich zu Kalbsknochen als Grundage, wie auch Krolik immer wieder gern betont.
Gut für die CO2-Bilanz?
Feinschmecker werden’s verkraften. Deutlich preissensibler ist da die Gemeinschaftsverpflegung. Auch hier ist Vegan längst ein Riesenthema. Und auch hier sei es ein Trugschluss, dass fleischfreies Essen am Ende auf dem Teller auch günstiger ist. Zum einen, weil Fleisch & Fisch auf dem Massenmarkt ohnehin schon günstig und zum anderen, weil Fleischersatzprodukte wie Plant-based-Pattys in ihrer Herstellung und Entwicklung eben aufwendig seien, wie Christian Steuber, Head of Food Intelligence beim Gemeinschaftsverpfleger und Caterer Sodexo Services, klarstellt. „Dafür gibt es nun in der Kalkulation neben dem Wareneinatz die Stellschraube CO2-Footprint.“
„Vegan bleibt“
Dass die vegane und fleischfreie Küche gerade auf dem deutschen Markt auf dem Vormarsch ist, hat der internationale Catering- und Facility-Management-Riese schon lange im Blick. Schon seit Jahren arbeite man bei Sodexo an entsprechenden neuen Angeboten. Bei vier Menülinien sind heute bereits 30 bis 35 Prozent des Angebots vegan oder vegetarisch. Bei den Sonderaktionen, die Sodexo für 2022 plant, steht dieses Thema bei zwei Dritteln im Mittelpunkt.
Dass das Angebot dabei weit über die Gemüseplatte mit Sauce Hollandaise hinausgeht – für Steuber keine Frage. Ob No Chicken Thai Curry mit viel frischem Gemüse, geschmorte Paprika mit Maismus oder sommerliche Tomatensalate: „Die moderne Küche ohne tierische Produkte ist kreativ, nachhaltig und weltoffen“, so der gelernte Koch. Manchmal noch etwas erklärungsbedürftig, aber auch das werde sich legen. „Eine unserer Herausforderungen ist es deshalb, dass unsere Produkte den Weg zu den Konsumenten finden“, sagt Christian Steuber. Das brauche Kommunikation, und zwar permanent. Der Fachmann ist sich sicher: „Die vegane Küche ist gekommen, um zu bleiben.“